Du bist ursprünglich aus Deutschland und lebst und arbeitet seit einigen Jahren in der Schweiz. Was schätzt du an deiner Wahlheimat, wenn du an deine berufliche Weiterentwicklung, an deinen beruflichen Alltag denkst?

Überall auf der Welt gibt es tolle Menschen und Organisationen, mit denen man sich zusammentun und etwas auf die Beine stellen kann. In der Schweiz kommt man schnell in die Situation, dass man jemanden kennt, die jemanden kennt, den man auch kennt, woraus sich etwas Fruchtbares ergibt. Das finde ich sehr angenehm und macht Spass. Deutschland ist diesbezüglich eher ein Fass ohne Boden.

Meine berufliche Entwicklung besteht landesunabhängig fast ausschliesslich aus «fake it until you make it» und «learning by doing» – am liebsten, in bunt zusammengewürfelten Kollaborations-Teams mit anderen gemeinnützigen Organisationen, Unternehmen und Hochschulen. Ich liebe es, etwas mit anderen zu erfinden, erstmal davon auszugehen, dass schon alles gut werden wird und zu schauen, wie es dann in echt funktioniert. Eines der letzten Projekte dieser Art war unser Festival «Your Stage» zu Arbeitswelten 60plus in Bern, das wir mit der Berner Fachhochschule und der SIBA im Oktober 2022 zum Leben erweckt haben. 2024 geht's weiter, dann mit einer dezentralen Aktionswoche rund um das Thema Arbeit im Pensionsalter.

Welche (beruflichen) Erfahrungen hast du aus Berlin mit nach Zürich genommen? Welche halfen dir hier konkret looping.ch, die schweizweite Plattform rund um berufliche Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte, aufzubauen?

Vor Neustarter, der Vorgänger-Plattform von Loopings, habe ich in Berlin mit zwei Jungs eine iPhone App entwickelt, die grandios gefloppt ist. Anschliessend habe ich das erste Bewertungsportal für Pflegeheime und ambulante Dienste lanciert, das es auch heute noch gibt. In diesen Startups habe ich gelernt, was es braucht, um etwas von Null aufzubauen und nutzerzentriert weiterzuentwickeln. Mit Loopings und dem Loopings Studio haben wir etwas geschaffen, wo das Experimentieren und ganz Neues denken, zum Programm gehört – rund um die Themen berufliche Entwicklung und Veränderung in der zweiten Lebenshälfte, mit Blick auf Arbeitnehmende, ansonsten Arbeitende und Arbeitgebende.

Was braucht die Schweiz von morgen, damit sich gemeinnützige Projekte wie looping.ch durchsetzen?

Viele Förderstiftungen und auch Fördermöglichkeiten der öffentlichen Hand sind auf Projektförderung ausgelegt oder darauf Innovationen zu unterstützen. Die Möglichkeiten substanzielle finanzielle Mittel für eine bereits bestehende (Mini-) Organisation, die nachweislich Wirkung erzeugt, zu erhalten sind beschränkt. Als kleine gemeinnütze Organisation ist man darum gezwungen dauerhaft in Projekten zu denken, um diese immer wieder aufs Neue fördern zu lassen. Das braucht viel Energie, die doch eigentlich besser in das Erreichen der Wirkungsziele fliessen sollte, und kann zum Überlebenskampf werden.

Was kann/soll/muss die Schweiz unternehmen, um den schon länger anhaltenden Fachkräftemangel zu lösen?

Dasselbe, wie andere Länder auch, was wiederum den ersten Punkt gar nicht so einfach macht: 1. Mehr Zuwanderung, 2. Bessere Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und anderer Arbeit und damit mehr Frauen, die in höheren Pensen arbeiten, 3. Ausbilden, Weiterbilden, Umschulungen und Quereinstiege erleichtern 4. Verbesserte Chancen für Langzeitarbeitslose 5. Verbesserter Zugang zum ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Handicap, 6. Arbeitsbedingungen und -modelle, die Lust machen länger als 65 zu arbeiten. Ansonsten bin ich gespannt, wie KI das Thema die kommenden Jahre beeinflusst, also welche Tätigkeiten nehmen Maschinen uns ab. Ab wann. Und was machen wir draus? Wahrscheinlich ist eine Zukunft, in welcher der Fachkräftemangel in vielen Bereichen zunimmt und gleichzeitig nicht alle, deren Jobs automatisiert werden, einfach flux in andere Berufe umsteigen können.

Was wünschst du dir persönlich von der Schweiz von morgen?

Bleib so wie du bist! Und werde Vorreiterin in ganz neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen. Wer, wenn nicht die Schweiz, könnte es schaffen, das erste Land der Erde zu werden, das den Wohlstand bewahrt, gleichmässiger verteilt UND dabei noch weniger Ressourcen als bisher verbraucht? Wer, wenn nicht die Schweiz, könnte es schaffen, durch eine faire Verteilung der Produktivitätsgewinne, die nächsten Jahre vor allem durch KI, Existenzängste zu verbannen und so altersunabhängig Entwicklung in alle Himmelsrichtungen zu ermöglichen?

Was bedeutet für dich Dialog?

Im Idealfall bedeutet Dialog mehr als Rede und Gegenrede. Bei einem fruchtbaren Dialog weiss man im Vorfeld nicht, was dabei rauskommt. Die Bedeutung von Dialogen soll gerade in der heutigen Zeit nicht zu unterschätzt werden. Ein Dialog, das bedeutet: soziale Interaktion, sich formulieren, zuhören, dazulernen. Besonders spannend wird’s in heterogenen Gespächsrunden und Teams.

Dein persönlicher Tipp für einen guten Dialog, egal ob im privaten oder geschäftlichen Umfeld.

Neugier. Also, wenn sie echt ist. Ansonsten: Ehrlichkeit. Weniger «Abers» würden vielen Dialogen auch gut zu Gesicht stehen. In unserer superkomplexen Welt gibt es so viele Varianten von Lösungen, dass diese doch auch erstmal gleichzeitig um Raum bestehen können. Und mehr Spass macht der alltägliche Dialog auch, wenn wir uns nicht die ganze Zeit gegenseitig die Gedanken vom Brot nehmen.

SD21 Ambassadors gestalten mit

Das Thema Fachkräftemangel ist generationen- und gesellschaftsübergreifend und darf nicht auf die wirtschaftliche Perspektive beschränkt werden. Auch macht der Fachkräftemangel nicht an den Landesgrenzen halt. Angrenzende Länder, Europa sind genauso betroffen und in unterschiedlichste Überlegungen miteinzubeziehen.

Darum braucht’s inspirierende Persönlichkeiten, die zum Fachkräftemangel etwas zu berichten haben. Wir brauchen SD21-Ambassadors. Regelmässig portraitieren wir Unternehmer:innen, Meinungsmacher:innen, Entscheidungsträger:innen und junge Wilde, die mit ihren Ideen und ihrem Tun unseren Horizont erweitern.

Diesen Artikel teilen