Challenge21-Debatte über bequeme Jugend, Überregulierung, Swiss finish und die Kultur des Scheiterns

Zum dritten Mal hat der StrategieDialog21 zum Challenge eingeladen – und das mit grossem Erfolg. Vor 120 frohgelaunten Gästen debattierten Suzanne Thoma, Filippo Leutenegger, Michael Ambühl und Hannes Gassert in der alten Fensterfabrik Bommer im Zürcher Triemli über die Zukunft der Schweiz. Die Quintessenz: Wir sind gut, aber wir könnten noch besser werden.

Der Schweiz geht es gut, im internationalen Vergleich betrachtet sehr gut sogar. Wir sammeln Fleisskärtchen am Fliessband – stehen in allen relevanten Ranglisten ganz weit oben, bei Wohlstand, Leistungsfähigkeit, Qualität der Infrastruktur, Bildung, Gesundheitswesen, Pünktlichkeit und Sauberkeit. Es gibt also kaum Grund, verzagt zu sein – und doch trübt dieses rosafarbenes Bild mindestens aus liberaler Sicht der eine oder andere Grauton.

So zeigt sich die Stimmbevölkerung mit Blick auf zurückliegende Volksentscheidungen zunehmend staatsgläubig und wirtschaftsskeptisch.

Viel weniger Wenn und Aber

„Es ist der Effekt der satten Kuh, die nicht mehr frisst, wenn ihre Mägen voll sind. Das Leben in einer Komfortzone macht uns ängstlich. Es fehlt der Hunger, etwas Spezielles und Aussergewöhnliches auf die Beine zu stellen.“ Das sagte Gian Gilli in Reaktion auf die abgelehnte Olympiakandidatur Graubündens 2022. In der NZZ konstatiert der vor allem in den USA arbeitende Unternehmer Frank A. Rinderknecht die fehlende mentale Breite in unserem Land. „Dank unserem konservativen Gedankengut und unseren Strukturen leben wir in einem schönen Land, aber es fehlen Pioniergeist und Aufbruchstimmung. Und es bräuchte viel weniger Wenn und Aber.“

Stimmt das wirklich? Sind wir gesättigt, unfähig, Neues zu wagen, Grenzen zu sprengen, auch als Gesellschaft wieder unternehmerisch zu werden? Woher kommt dieses Misstrauen gegenüber den Tatkräftigen, dem Besonderen – ob in Politik, ob in der Wirtschaft, ob in der Kultur? Und wie schaffen wir wieder mehr Begeisterung für die Zukunft der Schweiz?

Das wollten wir von unseren vier Diskutanten wissen, die wir am 8. Juni zusammen mit rund 120 weiteren Gästen zum zweiten Challenge21 des StrategieDialogs21 zu Mooris.ch, in den Räumlichkeiten der alten Fensterfabrik Bommer im Zürcher Triemli, eingeladen hatten.

Suzanne Thoma, CEO der Bernischen Kraftwerke BKW, Filippo Leutenegger, FDP-Stadtrat von Zürich, Michael Ambühl, Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement an der ETH Zürich und Direktor der Swiss School of Public Governances, sowie der Startup-Gründer und Unternehmer Hannes Gassert nahmen die Herauforderung an – und sie bestanden sie mit Bravour.

Begeisterung lässt sich nicht verordnen

Es könne nicht darum gehen, „Begeisterung“ zu dekretieren, meinte der ehemalige Spitzendiplomat Ambühl gleich zu Beginn, sondern insbesondere der Jugend wieder vermehrt einen „sense of purpose“ zu vermitteln, dass die Schweiz ein schönes, erfolgreiches Modell in Europa sei. Das könne etwa über die Intensivierung von Schüleraustausch geschehen, sowohl innerhalb der Schweiz als auch zwischen der Schweiz und Europa, oder aber durch Anlässe wie diesen des StrategieDialogs21. Der gewesene Staatssekretär, der unter anderem die Verhandlungen zu den Bilateralen II und zur Streitbeilegung mit den USA im Steuerdossier verantwortete, warnte gleichzeitig von einem Helvetozentrismus.

Ob denn die Jugend zu bequem geworden sei, wurde Suzanne Thoma gefragt, die sich ihrerseits als ETH-Chemieingenieurstudentin in den Achtzigerjahren in einer Männerdomäne durchbeissen musste. „Nein, aber sie ist anders als meine Generation sicher nicht mehr so bedingungslos auf die Sicherung und Mehrung des materiellen Wohlstandes ausgerichtet – sondern nimmt diesen eher als gegeben an.“ Das wollte Hannes Gassert als Vertreter der jüngeren Generation so nicht akzeptieren; es sei vielmehr so, dass jüngere Menschen etwa als Arbeitnehmer mitbestimmen wollten, sich nicht mehr als reine Befehlsempfänger betrachteten und sehr wohl motiviert seien – wenn auch eben nicht mehr einfach in materieller Hinsicht, sondern zum Beispiel auch bei Fragen wie Gerechtigkeit, Vereinbarkeiten von Beruf und Familie, Energie und Umwelt.

Fluch der Regulierung

Filippo Leutenegger, der als ehemaliger Journalist, Unternehmer, CEO und Nationalrat nun auch noch in einer Exekutivbehörde Erfahrungen sammelt, glaubt nicht, dass es ein zu wenig an Begeisterung ist, was uns als Schweiz heraufordert, sondern ein zu viel an (justiziablen) Vorgaben. Exemplarisch dafür sei das Arbeitsgesetz, das unternehmerische Initiativen einschnüre, was auch staatspolitisch ein Unsinn sei. „Google oder Apple wären in der Schweiz nie gegründet worden, weil niemand hierzulande in einer Garage arbeiten dürfte“, meinte auch Ambühl. Allerdings wies er der Bürgergesellschaft die Verantwortung zu; es sei nicht die Verwaltung, die reguliere, sondern unser aller Bedürfnis nach Sicherheit. Das führe zu einer vorauseilenden Perfektionismus – und zu einem übersteigerten Harmoniebedürfnis. Er plädierte für mehr Rückgrat etwa bei internationalen Verhandlungen. So dürfe man durchaus harte Gegenforderungen stellen, denn nur wer Positionen vertrete, verschaffe sich Respekt. Stattdessen gebe es bei uns jeweils noch einen Swiss-finish und obendrein – wie Leutenegger hinzufügte – den Zurich-finish.

Thoma wiederum verwies auf ihre ernüchternde Erfahrung, dass Entscheidungen im Parlament nicht auf der Basis politischer Überzeugungen, sondern entlang von Partikularinteressen gefällt würden – wobei sich jeweils die „lautesten“ durchsetzten. Gasserts Plädoyer für mehr Transparenz im Parlament und die Frage nach einem Verbot von Interessenbindungen fiel allerdings bei Leutenegger dezidiert auf Ablehnung. Es sei naiv zu glauben, ein Berufsparlament oder Transparenzgebote würden die politische Arbeit besser machen – die Schweiz habe ein auf dem Milizgedanken gründendes politisches System, das auch im internationalen Vergleich sehr gut funktioniere. Und es brauche nicht mehr Regeln, sondern weniger. Sehr wohl aber sei die Subventionitis ein Ärgernis – wenn eine Branche nur noch so überlebe, sei sie ohnehin dem Untergang geweiht.

Erfolge feiern und Scheitern akzeptieren

Einig waren sich die Panelisten aber mindestens darin, dass es mit wohlfeilen Appellen am Ende nicht getan ist – Thoma etwa gestand ein, dass auch die Wirtschaft gefordert sei, sich wieder vermehrt auch in politische und gesellschaftliche Debatten einzumischen, etwa durch die Übernahme eines politischen Amtes. Unternehmerinnen und Manager, die sich das zumuten, gebe es mehr als auch schon, sagte Thoma, aber immer noch zu wenig – auch, weil sie vielfach entweder gar keine Schweizer Wurzeln mehr hätten oder aber zu sehr gefordert seien in ihren Positionen. Sie selbst könne sich das derzeit zeitlich schlicht nicht leisten, vertrete aber in ihrer Unternehmung eine Kultur, die es Arbeitnehmern erlaube, sich zu engagieren. Es müsse aber auch wieder vermehrt gelingen, wirtschaftliche Erfolge herauszustreichen, und diesen etwa in den Medien nicht ständig zu beargwöhnen. Und gleichzeitig brauche es auch eine Kultur des Misserfolges; wer scheitere, dürfe nicht sozial ausgegrenzt werden. Im Zeitalter von Trump wäre das wohl eines der wenigen Dinge, die wir Schweizer derzeit noch von den USA lernen könnten.

Eine Auswahl der Bilder finden sie hier. Alle weiteren Eindrücke sind in folgender Galerie zusammengefasst.

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