Noch stecken wir mitten in der Spargelsaison: Sobald das Gemüse den Kopf aus der Erde strecken will, wird es geerntet, verkauft, verspiesen. Gleichermassen pflegen wir in der Schweiz im Feld der politischen Debatte vorzugehen. Redet sich einer über das vermeintliche Mittelmass hinaus, unterstellen wir Ruhmsucht und Selbstherrlichkeit. Das können wir uns nicht mehr leisten.

An englischen Universitäten gehört es zum Bildungskanon, an Debatten teilzunehmen. In Debattierclubs wird im Oxford- oder Cambridge-Stil das Argumentieren im Stil des englischen Parlaments geübt. Aufgeregt, energisch, hinterlistig, pathetisch, anklagend - Jeder versucht herauszustechen, aber immer mit Stil. Die Teilnehmer werden dabei im Zufallsprinzip einer Position zu einer politischen Vorlage zugeordnet - durchaus mit der Absicht, Sie zuweilen contre coeur gegen die eigene Haltung Stellung nehmen zu lassen. Die englischen Studierenden werden dabei nicht nur rhetorisch geschliffen, sondern sie entwickeln nebenher auch einen lebendigen, tiefgreifenden Diskurs.

Ein Blick ins Schweizer Parlamentsfernsehen zeigt, dass solche Debatten offensichtlich nicht Teil der hiesigen Bildungslandschaft sind. Es wird vom Blatt abgelesen und die wenigen Blicke ins Ratsplenum zeigen dem Redner: Es interessiert auch keinen. Politik wird hierzulande nicht in der Debatte gemacht, sondern im Hinterzimmer. Selbst die Medien loben Politiker, die Brücken bauen können und Kompromisse schliessen. Wer reden kann (schlimmstenfalls sogar auf Hochdeutsch), ist klar im Nachteil. Der geschliffenen Sprache haftet das Attribut der Arglist an. Also immer den Kopf unter der Erde halten.

Diese Haltung hatte durchaus seine Logik. Solange in diesem Land ein lebendiger politischer Diskurs an den Stammtischen herrschte war ein gewisses Misstrauen gegenüber denjenigen, die sich für etwas besseres hielten, weil sie eine quasi-aristokratische Sprache beherrschten, verständlich. Die Herren Parlamentarier (Damen waren damals eher die Ausnahme) hatten sich gefälligst verständlich auszudrücken, wenn sie gewählt werden wollten.

Drei Entwicklungen machen diese Haltung aber unzeitgemäss:

  1. Die Stammtische haben ihre goldenen Zeiten hinter sich. Die Schweizer Politik muss heute stärker um Aufmerksamkeit kämpfen als früher. Anstatt dass sich die Politik leise und haspelnd aus der Gesellschaft zurückzieht, sollte sie sie wortgewaltig zurückerobern. Als Inspiration folgende Infografik. Warum nicht via Social Web die Debatte aktiv beleben?
  2. Jedermann kann sich heute die Fähigkeit zulegen, gepflegt zu diskutieren. Wenn von der breiten Bevölkerung (zurecht) erwartet wird, dass sie sich konstant weiterbildet, sollten unsere Politiker mit gutem Vorbild vorangehen und sich ebenfalls ins Zeug legen. Rhetorik, aber auch Fremdsprachenkenntnisse müssen in Zukunft zwingend zu ihrem Anforderungsprofil gehören.
  3. Die politischen Geschäfte werden immer komplexer, der Politikbetrieb hat sich weitgehend professionalisiert. Stammtischsprache wird daher zur gefährlichen Farce. Sie ist ein folkloristisches Schauspiel, welches dem Stimmbürger Klarheit vorgaukelt wo erklärungsbedürftige Vielschichtigkeit herrscht.

Die Schweiz muss also dem rhetorischen Spargelprinzip abschwören. Politik und Bildung müssen Nachsitzen und Talentförderung in der Debattierkunst betreiben. Nur kulinarisch darf während der Spargelsaison alles beim Alten bleiben.

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