Die schweizerische Europapolitik ist seit längerem festgefahren. Die Weiterführung des bilateralen Wegs ist von Seiten der EU an institutionelle Bedingungen geknüpft, die innenpolitisch auf Widerstand stossen. Ebenso wird das Verhältnis mit der EU und dessen künftige Ausgestaltung zusätzlich von der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative bestimmt und verkompliziert. Leider ist es ein Unding der Schweizer Politik, dass politisch heikle Themen wie die Europapolitik im Rahmen des Wahlkampfs von wichtigen Exponenten bzw. deren Parteien gemieden werden. Dabei müssten gerade deren Haltung und Engagement gegenüber Themen, welche die Situation der Schweiz und ihrer Bürger in naher Zukunft massgeblich beeinflussen, die Wahl unserer Volksvertreter in die Wahlüberlegungen zumindest miteinbezogen werden.

Umso wertvoller sind daher Foren, welche die gegenwärtige und zukünftige Europapolitik zur Diskussion stellen. Der von der Stiftung StrategieDialog21 am 24. September 2015 in Bern organisierte Anlass zum Thema "Welche Schweiz wünschen wir für welches Europa" gehört dabei zu den nachhaltigsten Veranstaltungen, welche der Unterzeichnete in den letzten Monaten erlebt hat. Entscheidend für den Erfolg dieser Abendveranstaltung war nicht nur die Anzahl hochkarätiger Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, welche sich zur Diskussion über dieses zentrale Thema unter den "Chatham House Rules" eingefunden hat, sondern auch ihr Format. Die Kombination des Veranstaltungsort, das altehrwürdige Hôtel de Musique der Grande Société de Berne, mit der "währschaften" Verpflegung und vor allem der Aufteilung der Teilnehmer an nach den Themen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Informationsgesellschaft benannte Tische erlaubte eine respektvolle, nahrhafte und sachbezogene Diskussion. Währenddem das einleitende Impulsreferat vom Leiter der Direktion für Europäische Angelegenheiten, Botschafter Henri Gétaz, und das am Schluss der Veranstaltung angesetzte Panelgespräch mit Claudine Esseiva (FDP),  Nadine Masshardt (SP) und Thomas Aeschi (SVP) einen Einblick in den Stand der Diskussion innerhalb des EDA und der drei politischen Parteien, ermöglichten vor allem die unter der Leitung je eines Tischverantwortlichen stehenden und sehr lebhaft geführten Themengespräche interessante weiter führende Erkenntnisse. Die vom sachkundigen und dynamischen ex NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann zusammengefassten Tischdiskussionen offenbarten vor allem eine grosse Unsicherheit über den gegenwärtigen Zustand des Verhältnisses der Schweiz zur EU und Europa. Als Gründe gelten vor allem die unklare Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative bzw. deren Kompatibilität mit dem Freizügigkeitsabkommen und die institutionellen Forderungen der EU zur Weiterführung der Bilateralen. Zwar wurde die aktuelle Situation in den einzelnen Bereichen nicht als alarmierend eingestuft, doch fühlt man sich offenbar im Unklaren, wie das politische Verhältnis zur EU tatsächlich aussieht, welches die jeweiligen konkreten Folgen eines Scheitern der Verhandlungen sind und welche Alternativen zu den Bilateralen mit der EU mit allen Vor- und Nachteilen bestehen. Gleichzeitig wurde von allen Beteiligten die internationale Integration zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit einerseits und zur Einbringung der eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten und damit zur Beibehaltung der internationalen Anerkennung und Reputation der Schweiz als unabdingbar betont.

Als Fazit dieser äusserst wertvollen Veranstaltung kann festgehalten werden, dass die bisherige Kommunikation zu und über Europa vor allem des Bundesrates und den betreffenden Regierungsstellen offenkundig als mangelhaft empfunden wird. Eine aufrichtige und verständliche Aufklärung über die aktuellen Umstände und Aspekte der Diskussion mit der EU (institutionelles Rahmenabkommen mit entsprechender Schieds- bzw. Gerichtsbarkeit, autonomer Nachvollzug etc.) tut not, so wie auch quantifizierbare Informationen über die Folgen eines Scheiterns der gegenwärtigen Verhandlungen für die einzelnen Bereiche. Aufgrund der an diesem Anlass ebenfalls gemachten Vorschläge zur Gestaltung des künftigen Verhältnisses mit der EU und Europa wäre auch eine offene Diskussion über Alternativen zum Bilateralismus, insbesondere über die Frage eines sektoriellen oder ganzheitlichen EWR-Beitritts wünschenswert. Gleichzeitig sind aber auch die einschlägigen Verbände und Organisationen der Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und anderer betroffenen Kreise aufgerufen, sich aktiv in die Diskussion einzubringen. Wie die Veranstaltung des StrategieDialog21 gezeigt hat, besteht unter ihren Mitgliedern ein grosses Interesse!

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