Vor ein paar Tagen fand in Zürich die diesjährige Beiratstagung des Vereins Zivilgesellschaft statt. Sie stand unter dem trefflichen Titel "Kohäsion Schweiz: Scheitern wir an unserem Raum?" Sind die helvetische Identität und ihr Zusammenhalt durch die zunehmende Verengung des Raumes gefährdet?

Einleitend stellte Thomas Held fest, dass "Beschränkungstendenzen" in der Politik zunehmen, weil die Befindlichkeiten in der Bevölkerung, die mit dem Raum und dessen Nutzung zusammenhängen, die politische Agenda immer stärker beeinflussen. Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse diagnostizierte ein Auseinanderklaffen von politischer Organisation, die aus dem 19. Jahrhundert stamme, und der Konzentration der Bevölkerung in 4 bis 5 Metroplitanräumen. Diese 4 bis 5 "funktionalen Räume" repräsentieren die Lebenswelt der Bürger im Jahre 2014, die politischen Identifikationsräume sind demgegenüber die Kantone und Gemeinden. Überhaupt, so Müller-Jentsch, sei die Schweiz ein Ort der Gegensätze: Globalisierungstendenzen versus Kleinräumigkeit, Urbanität versus Dörflichkeit. Der Raumtheoretiker Alain Thierstein ging noch weiter und diagnostizierte eine Bevölkerungskonzentration in zwei Metropolitanräumen, nämlich in der Genferseeregion und in Zürich, wobei parallel dazu Bern und Basel zwischen Stuhl und Bank fallen. Seine Analyse fusste im wesentlichen auf der "Konnektivität" der einzelnen Räume, die in den beiden Metropolitanräumen international/global ausgerichtet, in den Zwischenräumen Bern und Basel hingegen binnenlandorientiert sei. Die heutigen Megatrends wie Trend zu Wissensökonomie und Komfort verstärken diese Entwicklung noch, so quasi nach dem sogenannten Matthäus Effekt "wer hat, dem wird gegeben" (und damit einhergehend: wer nicht hat, dem wird genommen). Tatsächlich profitieren ja in erster Linie die Zentren vom Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, auch wenn der Ausbau mit regionalpolitischen Argumenten begründet wird. Mathias Müller vom Architektenpool Krokodil präsentierte sodann die Vision der Stadt Glatt, die als Lösung für die raumplanerischen Probleme der Zeit dienen könnte.

Die Diskussion war sehr animiert, ich blieb jedoch "confused, but on a higher level". Ein Unbehagen grundsätzlicher Natur blieb zurück, wenn ich daran denke, dass ein liberal denkendes Publikum den "Planungsglauben" nicht in Frage stellt. Erst am Schluss fragte Thomas Held , ob man nicht einfach das Planungsrecht mit den beschränkenden Baulinien und Ausnutzungsziffern abschaffen sollte, wenn man schon Verdichtung wolle. Tatsächlich braucht man nicht unbedingt so weit zu gehen, aber fraglich bleibt dennoch, ob denn das Planungsrecht die Lösung unserer politischen Befindlichkeitsprobleme sei.

Ich für meinen Teil hege Zweifel daran, dass wir unseren politischen Herausforderungen mit Diskussionen auf Raumplanungsebe begegnen können. Die Schweiz ist zu widersprüchlich und zu facettenreich, um planerisch gelenkt werden zu können. In den Bergebieten will man nicht weniger Bautätigkeit, aber möglicherweise dennoch weniger Zuwanderung. Wachstum ist vielen Bevölkerungskreisen suspekt geworden, aber dennoch werden beispielsweise neue Kapazitäten zum Jungfraujoch ins Auge gefasst. Verlust der Identität, Lockerung der Kohäsion, Zunahme der Zuwanderung - all dies sind Fragen, die mit der Raumnutzung verknüpft sind und sicher auch in diesem Zusammenhang diskutiert werden müssen. Sie jedoch nur auf planerischer und ökonomischer Ebene zu diskutieren, trifft den Kern der Sache nicht. Genau dies hat meines Erachtens die Tagung gezeigt, und deshalb war sie so wertvoll. Eine Teionehmerin hat am Schluss der Debatte zu Protokoll gegeben: "le bonhehr ne peut pas être imposé, il n'est certainement pas fédéral… Ce qu'il nous faut c'est le dialoge plutôt que l'imposition de solutions". Recht hat sie. Lösungen von oben gibt es nicht. Höchstens Probleme von oben.

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