Der SD21 hat den in der Bundesverfassung verankerten Freiheitsbegriff als Leitmaxime gewählt. Er eignet sich besser als das abgegriffene und parteipolitisch vorbelastete Allerweltswort "liberal", um die Ziele der Dialogplattform SD21 zu beschreiben. Denn "Freiheit" im eidgenössischen Sinne umfasst stets eine ganzheitliche Sicht: Unser Verständnis der Freiheit erstreckt sich nicht nur auf die Wirtschaft, sondern auf gesellschaftliche Werte insgesamt.

Der linke deutsche Politiker Oskar Lafontaine sieht die Freiheit erst durch den Sozialismus als ermöglicht an (Gründungsparteitag "Die Linke" 16.6.2007). Nur durch umfassende soziale Sicherheit, sprich Umverteilung, gewänne der Bürger Freiheit und diese Sicherheit könne nur der Sozialismus gewähren.

Oder die Interpretation des Kaisers Augustus, der vor 2000 Jahren die Libertas, einst Schlüsselbegriff des stolzen alten Roms, für seine Gewaltherrschaft uminterpretierte: Freiheit bedeutet plötzlich die Möglichkeit, ein unbehelligtes Privatleben zu führen, sofern man sich aus der Politik heraushielt und die Herrschaft des Kaisers uneingeschränkt anerkannte. Oder das "Deutsche Wörterbuch" der Gebrüder Grimm. Dieses enthielt zehn verschiedene Definitionen des Begriffes "Freiheit", wobei die Gebrüder Grimm nicht auf die Idee kamen, Freiheit als Folge des Sozialismus zu definieren. Neuerdings kommt auch die Thematik der digitalen Freiheit  (FAZ 18.8.2014 / S 6: Das Netz: Raum der Chancen und der Freiheit. Von de Maizière) als eine neue Dimension hinzu.

Recherchen und Demoskopien des Allenspach Institutes in Deutschland der 90iger Jahren zeigten auf, dass Freiheit ohne Chancengleichheit nicht denkbar ist, jedoch Gleichheit als gesellschaftliches Ziel mit den Werten der Freiheit im Konflikt steht. Im Rahmen von Befragungen zeigte sich zudem, dass die Haltung vieler Bürger zum Thema Freiheit eher unbewusst und zunächst wenig rational ist. Im Alltag hat der Bürger schliesslich wenig Anlass, sich mit dem abstrakten Konzept der Freiheit zu beschäftigen, so dass oft konfuse, aber wenigstens auch emotionale Elemente bei jedem Einzelnen zur Freiheit hin bestehen. (Thomas Petersen in Freiheitsindex Deutschland 2011, Seite 17-23).

Daraus ergibt sich für den SD21 die einfache Frage: Wieso soll sich eigentlich der Bürger mit der Freiheit auseinandersetzen? Und wenn das "abstrakte Konzept" der Freiheit die Beantwortung dieser Frage erschwert, wie kann der SD21 hier ansetzen und "helfen" - vielleicht auch mit Geschichten und Beiträgen?

Das John Stuart Mill Institut in Heidelberg (siehe ebenfalls dazu "Freiheitsindex Deutschland 2011" - Publikation des John Stuart Mill Institutes, herausgegeben von Prof. Ulrike Ackermann) hat sich ähnliche Fragen gestellt und in seinen Untersuchungen auf die Freiheit als Wert, als gesellschaftliches Organisationsprinzip konzentriert. Ein Wert und ein Prinzip, das mit Zielen der sozialen Gleichheit im Konflikt steht. Mit den Umfragen will das John Stuart Mill Institut herausfinden, inwieweit aus Sicht der Bevölkerung das gesellschaftliche Prinzip der Freiheit Vorrang vor den Zielen der sozialen Gleichheit und der sozialen Sicherheit hat oder ob es ihnen nachgeordnet ist.

Damit unterscheidet sich das JSM Institut in seinem Fokus vom kanadischen Fraser-Institut oder der amerikanischen Heritage Foundation, die sich ganz auf die Aspekte der wirtschaftlichen Freiheit konzentrieren.

Die schweizerische Bundesverfassung postuliert ein Freiheitsverständnis, das dem Einzelnen nicht nur Chancen, sondern auch Aktivität und Verpflichtungen auferlegt: Frei ist nur, wer seine Freiheit gebraucht, wer wählt, wer entscheidet, freiwillig. Also das Konzept der aktiven, tätigen, aber auch auf die Schwachen Rücksicht nehmende Freiheit. Ähnlich, wie es Petersen ebenfalls als Fragestellung für die Umfragen des JSM Institutes auf S 25 des Freiheitsindexes postuliert.

Und tatsächlich: Die Befragungen des JSM Institutes ergeben, dass die deutsche Bevölkerung mehrheitlich dem aktiven Freiheitsverständnis folgt. Beachtenswert dabei: Je höher die Schulbildung, je grösser fällt die Zustimmung zu diesem Verständnis aus (S 26 Freiheitsindex).

Auch wenn für die Schweiz keine solche Umfrage vorliegt, so lässt sich die These aufstellen, dass alleine schon aus der schweizerischen Geschichte, der  freiheitlichen Tradition, dem Streben nach Unabhängigkeit und dem ausgewogenen Geist der BV heraus ein ähnliches Ergebnis zu erwarten ist.

Und wenn dem so ist, so stellt sich dann allerdings die akute Frage, warum der einzelne Bürger bereit ist, einer zunehmenden Verordnungs- und Gesetzesflut nicht nur (tatenlos) zuzusehen, sondern sogar noch bereit ist, diese mittels Initiativen und Wahl gesetzeswütiger Parlamentarier weiter zu befördern?

Ist hier nicht ein grösserer Widerspruch zwischen der "gefühlten", vermeintlich noch vorhandenen Freiheit der Schweizer Bevölkerung (... wir sind doch immer noch ein freies Land und unabhängig; ich kann doch frei wählen) einerseits und der parallel einhergehenden, geduldeten, ja sogar aktiv gewollten Einengung dieser Freiheiten durch eine ausufernde Regelungs- und Gesetzesflut auszumachen? Man tut zwar so, als sei die Freiheit immer noch im Überfluss vorhanden, handelt aber oft genau gegenteilig. Haben wir es mit einer neuen Form des Nachtwächterstaates zu tun? Werden zunehmend Pflegebedürfnisse des Bürgers bedient, die nach einer vermeintlich schützenden, einlullenden Staatshand als Ausgleich für politisch generell unsichere Zeiten verlangen? Ein staatlich betriebener "Kuschelzoo", der eine scheinbar geschützte und risikoarme Welt suggeriert? Macht sich ein Biotop breit, welches dem Staat die Lösung vieler Probleme qua Gesetz und Verordnung delegiert und damit dem Irrglauben folgt, dass die staatliche Hand besser in der Lage sei, den Bedürfnissen der Bürger gerecht zu werden als wenn jeder Einzelne wieder vermehrt Eigenverantwortung übernehmen würde? Freiwilligkeit ist der Preis der Freiheit - nur scheint diese Freiwilligkeit an Schwindsucht zu leiden.

Ein solches eher passives und staatsgläubiges Klima, welches sich nur dank des enorm hohen Wohlstandsniveaus entfalten konnte, lässt rasch vergessen, welches das Fundament des Schweizer Wohlstandes war. Nebst der harten Arbeit, einem genossenschaftlich orientierten Zusammenhalt waren insbesondere die Wirtschaftsfreiheit mit einem liberalen Arbeitsrecht, Eigentumsschutz und ein ausgezeichnetes Bildungssystem massgebende Erfolgsfaktoren.

Diese, nur exemplarisch aufgezeigten Erfolgsfaktoren werden heute bestenfalls als selbstverständlich betrachtet oder schlimmer noch, sind fast vergessen und werden in der Schule kaum gelehrt. Man nimmt die Wirtschaftsfreiheit als immer noch gegeben hin und übersieht dabei, dass diese mehr und mehr ausgezehrt wird. Die langfristigen Konsequenzen werden gar nicht erst thematisiert. Ja schlimmer noch, die Wirtschaftsfreiheit wird durch das oben beschriebene staatsgläubige Klima aktiv untergraben. Die Wirtschaftsfreiheit und die Freiheit insgesamt verkommen zum Konsumgut, zum Spielball der Lobbyisten und Politik.

Abnehmende wirtschaftliche Freiheit  hat unweigerlich negative Auswirkungen auf die persönliche und gesellschaftlich verantwortungsvoll gelebte Freiheit.

Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und persönlicher Freiheit, zwischen Wohlstand und Freiheit muss wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht werden. Nur diese Vernetzung kann für die Schweiz auch zukünftig den wirtschaftlichen Erfolg sicherstellen. Und damit wird nochmals die abwegige Lafontainesche These relevant, dass Freiheit nur durch Sozialismus möglich sei. Denn diese führt sich selbst ad absurdum, wenn alles Geld verteilt, alles "geregelt" und staatlich "verordnet" ist und niemand mehr den Freiraum hat, um unternehmerisch agieren zu können. Genau dann führt die vermeintlich sozialistisch erzeugte Freiheit zur Unfreiheit und Unfrieden.

Ob trotz dieser Erkenntnisse auch mit einer zukünftigen Wahrung des gegenwärtigen Wohlstandsniveaus zu rechnen ist, ist freilich eine andere Frage. Es gilt dabei zwei Ebenen zu betrachten - einerseits die interne innenpolitische und andererseits die externe aussenpolitische Ebene. Eine wichtige Voraussetzung für das zukünftige wirtschaftlich erfolgreiche Gedeihen der Schweiz ist im oben ausgeführten Sinne das Wiedererkennen der freiheitlichen Werte und deren aktives Leben durch den Einzelnen. Eine ganz andere Frage ist die aussenpolitische. Will die Schweiz an einer sehr dezidierten Selbständigkeit innerhalb Europas und an ihrer Haltung als Nichtmitglied der EU weiter festhalten, dann wird dieses Freiheitsverständnis einen wirtschaftlichen Preis haben.

Genau diese Fragestellungen sind es, die der SD21 vertiefen will und die auch aufzeigen, dass die vom SD21 in den letzten Monaten angestossenen Diskussionen zum Freiheitsbegriff als übergeordneter Begriff im Sinne der BV und die damit in engem Zusammenhang stehenden wirtschaftlichen Freiheit, Bildungsfreiheit und sozialer Kohärenz in die richtige Richtung gehen.

Und dass der SD21 unbedingt die weiteren Zusammenhänge verdeutlichen, Begriffe und Inhalte für unser Zielpublikum noch präziser fassen und narrativ aufladen muss.  Zudem ist, dem Trend des JSM Institutes folgend, auch in der Schweiz von einem "vernünftigen" Freiheitsbegriff auszugehen, obwohl aktuell unklar bleibt, warum zwar die aktive Freiheit hochgehalten und als bedeutsam eingestuft wird, aber deren zunehmende Einschränkung in Kauf genommen wird.

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