Die Schweiz des 18. und 19. Jahrhunderts war eines der innovationsfreudigsten Länder Europas:

  1. 1870 gehörte die Schweiz zu den am stärksten industrialisierten Ländern und stand beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Europa an vierter Stelle (hinter GB, Holland und Belgien).
  2. Beim Human Development Index der Vereinten Nationen (welcher Lebenserwartung und Bildungsgrad mitberücksichtigt) erreichte die Schweiz bereits 1870 den Spitzenplatz.
  3. Nach neuesten Schätzungen dürfte die Schweiz schon 1914 das reichste Land der Welt gewesen sein.

Jedes Land hat die Unternehmer, die es verdient. Hierzulande hat sich ein Typus herausgebildet, der innovativ, staatsskeptisch und freihändlerisch zugleich ist. Im Gegensatz zu Nationen mit monarchischer, feudalistischer und totalitärer Vergangenheit haben sich Unternehmer in der Schweiz nie nach oben orientiert und eine feudalisierte Kaste gebildet. Unternehmer wie Alfred Escher, Johannes Badrutt, Philippe Suchard, Heinrich Nestlé, Else Züblin-Spiller haben zu einem Grossteil aus eigener Kraft das Fundament geschaffen, auf dem wir heute stehen.

Pioniere sind Leute, die erfolgreich das tun, womit niemand rechnet. Nach ihnen sieht die Welt ein Stück weit anders aus. Sie verlassen ausgetretene Wege, wagen sich in Neuland vor und lassen die anderen dabei folgen. Menschen mit Erfindungsreichtum und Unternehmergeist wird es immer geben. Sie sind mitten unter uns und keine Licht- oder Heldengestalten. Doch es sind auch die äusseren Gegebenheiten, die Menschen zu Leistungen anspornen. Pioniere benötigen vor allem eines: Freiheit. Freiheit in einer Gesellschaft, die den Markt spielen lässt, die Leistung belohnt, Chancenvielfalt bietet und Werte wie Redlichkeit und Anständigkeit lebt.

Je freier eine Gesellschaft ist, umso mehr Pioniere gibt es. Wo Freiheit unterdrückt wird, verkümmern kreative und innovative Menschen. Stattdessen herrschen Defätismus, Neid und Korruption. Gleichzeitig bedarf es einer starken Zivilgesellschaft. Es ist kein Zufall, dass Länder mit einer freiheitlichen Tradition wie die Schweiz, die angelsächsischen oder die nordischen Staaten besonders viele freiheitlich gesinnte Unternehmer hervorgebracht haben.

Am Beispiel der Schweiz gibt es aus historischer Perspektive vier wesentliche strukturelle Gründe für die Entstehung einer breiten Unternehmerschicht:

1)    Einen schwachen Staat

Der Bund hatte 1848 kein Geld in der Kasse. Die Staats- und Steuerquote war sehr niedrig, die Arbeitsgesetze liberal, es gab kaum staatliche Eingriffe in das unternehmerische Handeln. Dies schuf ein Klima, in dem sich initiative und mutige Menschen entfalten und auch den Ausbau der Infrastruktur vorantreiben konnten.

Hinzu kam eine jahrhundertealte Freiheitstradition – die Eigenständigkeit der Eidgenossenschaft war der Nährboden für die sprunghafte Entwicklung der Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert. Unternehmer richteten sich nach den Bedürfnissen des Marktes aus und zwar global, mit qualitativ hochstehenden Nischenprodukten.

2)    Starker Freihandel

Im 19. Jhd. herrschte in der Schweiz die Ära des Freihandels. Der rasante Aufschwung der schweizerischen Exportindustrie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ohne jede staatliche Förderung und Protektionismus war den englischen Freihändlern ein Musterbeispiel, dass der Wohlstand der Völker vom Grad der gesellschaftlichen Arbeitsteilung abhänge und diese daher nicht durch Zölle und staatliche Intervention behindert werden dürfe.

3)    Kapitalreichtum

Die lose föderative Struktur der Eidgenossenschaft hat eine straffere Koordination der politischen Kräfte verhindert und damit auch staatlichen Merkantilismus und Protektionismus unterbunden. Das Fehlen einer kapitalverzehrenden Adelsschicht und von kostspieligen kriegerischen Abenteuern ermöglichte es, dass sich in der Schweiz langsam, aber sicher Vermögen anhäufen konnte. Es bildeten sich erste Banken, die zunächst Vermögensverwaltung betrieben und dann auch den Kapitalbedarf der Unternehmer und später der grossen Infrastrukturprojekte zu decken wussten.

4)    Föderalismus

Bis heute ist der institutionelle Wettbewerb in der Schweiz noch bemerkenswert stark. Robert Nef hat in diesem Zusammenhang den überzeugenden Begriff des Non-Zentralismus geprägt. Dies ist eines der wichtigsten – und unbekanntesten – Erfolgsgeheimnisse der Schweiz. Der Wettbewerb der Gemeinden und Kantone, u.a. auf steuerlicher Ebene, ermöglicht das freie Experimentieren und hat ein insgesamt marktwirtschaftlicheres Klima geschaffen. Gepaart mit den Volksrechten haben sich so viele staatliche Exzesse, Prunkbauten und Luftschlösser frühzeitig verhindern oder zumindest in vernünftige Dimensionen zusammenschrumpfen lassen.

Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs hat die Schweiz zunehmend ihren Erfolgsweg verlassen. Sie entwickelte sich in den Nachkriegsjahrzehnten zu einem der korporatistischsten Länder der Welt – es war die Zeit der Kartelle, des geschützten Binnenmarktes, des zunehmend ausgebauten Sozialstaates und der Wohlstandsverwaltung. Kein Wunder,  dass sich aus dieser Zeit nicht mehr so viele Pioniere und innovative Unternehmer finden lassen.

Und heute? Wir haben einen so hohen Standard erreicht, dass der Hunger auf Innovationen kleiner geworden ist. Wenn wir auch weiterhin ein Land der Pioniere sein wollen, müssen wir zuallererst die Bedingungen dafür bieten. Pioniere fallen nicht vom Himmel, und man kann sie auch nicht herbeireden: Man kann aber einen Boden und ein Klima dafür schaffen: bei der Ausbildung, beim Steuersystem, beim Arbeitsmarkt.

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