Die Schweiz ist voller Geschichten, Ideen und Inspirationen: Voller Charakterchöpf. Ein Charakterchopf ist jeder auf seine eigene Art und Weise. Es sind Leute wie Sie und ich. Jeder bringt seine Geschichte und seine Ideen mit, die inspirieren und berühren können. Was bewegt unsere Gesellschaft? Was wünschen wir uns? Worin sind wir besonders gut und was können wir noch besser machen? Charakterchöpf lassen uns an ihren Gedanken teilhaben und geben wertvolle Impulse.

Im März 2020 teilen uns drei Charakterchöpf offen und ehrlich ihre Gedanken zum Thema «Das Coronavirus legt die halbe Welt lahm. Wird es unsere Gesellschaft verändern und hat es Einfluss auf unsere Solidarität?» mit.

Die Beiträge sind von den Autoren selbst geschrieben, damit ihre Meinung unverfälscht und authentisch präsentiert wird.

Auf Twitter und Facebook kann jetzt für den Charakterchopf des Monats abgestimmt werden:

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«Diese Krise wird uns nicht treffen, alles wird glimpflich vorübergehen. Dieses Selbstverständnis, welches sich in der Schweizer Gesellschaft eingenistet hat, wird durch die momentane Krise erschüttert und wird vermutlich in gleichem Masse auch nicht mehr zurückkehren. Insofern, denke ich, wird das Coronavirus einen bleibenden Einfluss auf unsere Gesellschaft haben. Was die Solidarität angeht, welche momentan auf verschiedenen Ebenen herrscht und schön zu sehen, bin ich leider skeptischer. In unserer auf Individualismus getrimmten Gesellschaft befürchte ich, dass sobald sich die Normalität langsam wieder ankündigt, Empathie und Mitgefühl wieder abnehmen werden. Insbesondere, da nicht nur die Krise selbst, sondern auch der Weg zurück zur Normalität vermutlich viele Herausforderungen an uns stellen und uns als Gesellschaft stark herausfordern wird.»

Adrian Dalbert, Oberarzt Universitätsspital Zürich (Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie)

 

 

 

«Tatsächlich hat das Corona-Virus unsere Welt verändert, so radikal und plötzlich, wie ich das kaum für möglich gehalten hätte. Dass Solidarität sich ausgerechnet darin zeigt, dass man auf Abstand zueinander geht, versinnbildlicht, dass scheinbar nichts mehr so ist, wie es war. Doch ist dem wirklich so? Akzentuieren sich in der Katastrophe nicht gerade die bestehenden Verhältnisse?

Wer vor der Krise in prekären Verhältnissen lebte, ist auch jetzt verwundbar. Es macht einen Unterschied, ob man im Haus mit Umschwung ausharrt, in der Dreizimmerwohnung oder im Zelt auf einer gottverlassenen griechischen Insel. Dass in der Not alle gleich seien, ist ein Märchen aus Hollywood. Die Kranken- und Altenpflegerinnen, die Kassiererin, das Reinigungspersonal, der Bauarbeiter, der Kleinkinderzieher, es sind auch jetzt die Schlechtbezahlten, die an vorderster Front stehen und ihre Gesundheit riskieren. Der Unterschied ist nur, dass ihre Berufe für einmal als systemrelevant anerkannt werden – und sich viele mit ihnen solidarisch erklären.

Auch ich bin gerührt von der Nachbarschaftshilfe, die sich überall beobachten lässt, von dem persönlichen Ton, den derzeit selbst der Versicherungsbeamte anschlägt, von den vielen selbstlosen Helfern wie dem Betreuer, der seine eigene Gesundheit riskiert, um meinem behinderten Bruder so viel Normalität wie möglich zu vermitteln. Und auch mir wurde warm ums Herz, als die Menschen applaudierend dem Spitalpersonal Tribut zollten. Es wäre zynisch diese Solidaritätsbekundungen für nichtig zu erklären. Im Gegenteil, ich hoffe, diese Solidarität hinterlässt Spuren, brennt sich ein in die Köpfe und Herzen. Denn dieses Virus hat unsere Gesellschaft verändert. Die Frage ist nur, wie. Ich hoffe, die Welt wird auch dann solidarisch sein, wenn es besiegt und der Platz des gemeinsamen Feindes wieder vakant ist. Denn eines ist gewiss: Die Verteilkämpfe werden in Zukunft noch härter gekämpft werden als zuvor.»

Barbara Loop, Journalistin, Mitglied der annabelle-Chefredaktion

 

 

 

«Die Corona-Krise ist für die meisten von uns etwas völlig Neues. Die Reisetätigkeit wird eingeschränkt, Produkte sind nicht mehr immer und überall verfügbar, Veranstaltungen werden am Laufband abgesagt. Wir wohlstandsverwöhnte Westler müssen wieder lernen, Einschränkungen zu akzeptieren. Doch Menschen vergessen schnell. Ist die Krise ausgestanden, wird man wieder reisen, auswärts essen gehen oder dem Fussball huldigen. Zu hoffen ist allerdings, dass wir uns etwas stärker bewusst sind, woher der Wohlstand kommt und wie leicht sich dieser verflüchtigen kann. Und als Ökonom hoffe ich natürlich, dass die Politik die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft wieder verbessert, statt wie in den letzten Jahren schleichend zu verschlechtern. So dass die Politik den Blick verstärkt auf das Ganze richtet und der Staat künftig weniger für egoistische Sonderinteressen missbraucht wird.»

Rudolf Minsch, Stv. Vorsitzender der Geschäftsleitung economiesuisse

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