Eine der grossen Herausforderungen unserer aktuellen Zeit ist der Fachkräftemangel. Fühlen Sie sich persönlich betroffen?

Ja, klar. Als Unternehmer bin ich unmittelbar betroffen. Als Leiter des Wirtschaftsamtes höre ich mit Sorge, was mir Firmen zutragen. Aus volkwirtschaftlicher Perspektive verfolge ich mit Argusaugen, wann sich die Effekte aus dem Fachkräftemangel auf Konjunktur- und Wachstumszahlen niederschlagen. Ob das letztlich schlimm ist, sei dahingestellt. Ein Mangel ist nicht zwingend negativ. Ein Mangel erhöht den Wert einer Sache. Vorliegend also den Wert der Arbeitskräfte. Was wiederum zu neuer Wertschätzung gegenüber der Human Resource führt. Ein Mangel führt oft auch zu neuen Lösungen. Zu Effizienz. Zu Sparsamkeit. Zum Sorge tragen. Diese Attribute sind nicht zwingend negativ.

Wo und wie spüren Sie den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Ihrem beruflichen Alltag?

Ganz unmittelbar erfuhr ich den Fachkräftemangel in einem kürzlichen Rekrutierungsprozess. Die vielversprechendste Kandidatin ist abgesprungen, weil wir bis zum Fällen des positiven Entscheides etwas länger brauchten. Sie hatte genügend Alternativen. Oft fühlt es sich an, als würde ich Bewerbungsrollen umkehren. Ich ertappe mich bei einem potenziellen Kandidaten als Bewerber bei ihm – und nicht umgekehrt. Entsprechend „gluschtig“ versuchen wir Stellen auszuschrieben und uns zu präsentieren.

Alle Unternehmen, die schon früher Mühe mit Fachpersonal hatten, weil der Wirtschaftsraum Bern fälschlicherweise oft nur mit Verwaltung assoziiert wird, sind heute besonders gefordert. Es gilt richtigzustellen: Bern ist in einigen Bereichen, wie MedTech, FineTech, Forschung oder Gaming-Industrie eine Karrierestadt. Da läuft viel auf internationalem Topniveau.

Wo sehen Sie die grössten Hebel zur Lösung/Linderung des Fachkräftemangels?

In dem sich jedes Unternehmen Zeit nimmt, über Wertschätzung gegenüber jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter nachzudenken. Schaffe ich Perspektiven, wo gewünscht? Ermögliche ich eine Weiterentwicklung? Macht der Auftritt meiner Firma in den sozialen Medien Lust? Biete ich Weiterbildung an? Kenne ich die Bedürfnisse der Generation Z? Sind die Arbeitszeitmodelle zeitgemäß? Können meine Mitarbeiter partizipieren? Nehme ich mir Zeit, zuzuhören? Habe ich mich mal vertieft mit partizipativen Führungsmodellen auseinandergesetzt? Erkenne ich den Wert der langjährigen Mitarbeiter:innen? Den Wert der Ü60? Gerade im Bereich der „älteren“ Mitarbeiter braucht es eine Gedankenrevolution. Auch ein Engagement von zwei Jahren, mit kreativen Pensionierungsmodellen, ist attraktiv. In der Erfahrung und den Schlusssprintqualitäten solcher Mitarbeiter:innen liegt bislang verkanntes Potential.

Welche Chancen sehen Sie persönlich in der aktuellen Zeit?

Ein Mangel kann statt zu einem Lamento auch zum Nachdenken, Innehalten und Reflektieren führen. Und das wiederum führt zu neuen Lösungsansätzen. Es erhöht den Druck zur Effizienz, zur Improvisation und zu neuer Wertschätzung.

Und zum Schluss noch zwei Fragen zum Thema Dialog. Welche Rolle spielt Dialog in Ihrem Leben?

Auch wenn mich Machen glücklicher macht als Reden: Dialog ist alles. Ohne Dialog entfremden wir uns. Von Menschen, unseren Ideen und unserer Firma. Der Dialog ist das Fundament unserer Gesellschaft.

Was macht einen guten Dialog aus?

Zwei Menschen treffen sich ergebnissoffen und verabschieden sich mit einem Plan. Oder zumindest mit einer Erinnerung an eine lebendige Zeit.

SD21 Ambassadors gestalten mit

Das Thema Fachkräftemangel ist generationen- und gesellschaftsübergreifend und darf nicht auf die wirtschaftliche Perspektive beschränkt werden. Auch macht der Fachkräftemangel nicht an den Landesgrenzen halt. Angrenzende Länder, Europa sind genauso betroffen und in unterschiedlichste Überlegungen miteinzubeziehen.

Darum braucht’s inspirierende Persönlichkeiten, die zum Fachkräftemangel etwas zu berichten haben. Wir brauchen SD21-Ambassadors. Regelmässig portraitieren wir Unternehmer:innen, Meinungsmacher:innen, Entscheidungsträger:innen und junge Wilde, die mit ihren Ideen und ihrem Tun unseren Horizont erweitern.

Diesen Artikel teilen