»Was für ein durchgeknallter Hund!« Der erste Satz, das erste Treffen. Gleich mittendrin. Noch vor der herzlichen Begrüssung von Zora del Buono kommt die Begrüssung von Hündin Natalina. Die Neue im Bunde. »Süditalienerin, wie ich.« War es bis vor Kurzem das entspannte Duo Zora und Hund Mica – die Ruhe in Hundeperson, unaufgeregt, ganz Zen – so bringt Natalina frischen Wind in die Konstellation. Sie rast, saust, springt hoch, umkreist, düst davon und im nächsten Augenblick überrennt sie einen bereits wieder.

Bahnhof Zürich Tiefenbrunnen, frühmorgens. Zoras Art: Gleich per Du. Direkt, nahbar, freundschaftlich, verschmitzt. Zoras Outfit: Blauer Mantel, gutes Schuhwerk, bereit für den Spaziergang. Fernab des Fussgängerstreifens über die Strasse flitzen. Durch die geschlossene Badi Tiefenbrunnen. Hunde verboten, Schild ignoriert. Routiniertes Leinen lang ziehen lassen und kürzen, beidhändig, stetig in Bewegung.

Sie besitze immer genau den Hund, der zu ihrer aktuellen Lebenssituation passe, erzählt die 58-jährige Autorin. Vor bald vierzig Jahren hatte Zora als ersten tierischen Weggefährten einen arabischen Windhund mit grossem Bewegungsdrang, der dauernd nach draussen musste und sie so rausholte aus Situationen, Räumen und Begegnungen. »Damals war ich hoch neurotisch, sass immer überall am Rand, trug meinen langen Ledermantel auch drinnen. Die anderen dachten, ich sei cool. In Wirklichkeit war ich aber einfach stets bereit zu fliehen. Mein Hund war die perfekte Ausrede für meine Klaustrophobie. «

Auf einer quadratischen Holzbank, Blick auf den Zürichsee, unerwarteter Sonnenschein, bittere Kälte. Ein rotes Fellknäuel rauscht hin und her, hinterlässt Hundepfoten- Abdrücke auf dem Notizbuch. Lebensgeschichte gespickt mit Hundeanekdoten. Und aus der Bauchtasche werden Hundeleckerli rausgepickt.

Zweigespann

Heute ist es also seit wenigen Wochen Gute-Laune-Hündin Natalina. Eigentlich nur als Übergangslösung bei Zora. Sie sollte bei ihr auf ein neues Zuhause warten, hat dieses aber jetzt bei ihr und Mica gefunden. »Der fröhliche, lustige Hund als Medizin gegen die Mutter-Trostlosigkeit.« Ihre Mutter ist an Alzheimer erkrankt, ist dabei, ihr zu entgleiten. Mit der Mutter bildete sie nach dem frühen Tod ihres Vaters – Zora war noch ein Baby – ein harmonisches Zweigespann, kaum je hatten sie Differenzen. Zora und Marie-Louise. Für sie die normalste Familienform der Welt. Mama-Papa-Kind-Konstellationen waren ihr suspekt, sie kannte das schlicht nicht.

Der wichtigste Mensch in deinem Leben? Mein Mami.

Die Historikerin, »diese gescheite, tolle Frau, die so wahnsinnig viel gewusst hat«, sie geht geistig verloren. Ihre Mutter war ihre Konstante, sie zwei allein, aber immer zu zweit. Haben zusammen ihr Leben verbracht.

Waches Gesicht. Sommersprossen. Helle, leuchtende Augen, die Iris ist aussen dunkler, innen grün-grau. Die Locken leuchten rot-orange in der Sonne. »Frisch nachgefärbt, wir haben die gleiche Haarfarbe«, lacht Zora und zeigt auf ihre Hündin.

Zürich–Berlin
Die Krankheit macht traurig, aber vor allem wütend. Die Mutter tut ihr leid, nervt gleichzeitig. Demenz ist eine Zumutung, für Betroffene und Angehörige gleichermassen. Zora hat jetzt ein Zweitauto und einen Zweitwohnsitz. Eine ehemalige Fräulein- Wohnung am Tiefenbrunnen, an der äussersten Ecke Zürichs, gefühlt mit einem Bein noch in der Stadt und mit dem anderen fast schon in Zumikon, dem Wohnort ihrer Mutter – und dem ihrer Kindheit. Nicht mehr nur die Wohngemeinschaft mitten in Berlin, zuoberst in einem ehemaligen Krankenhaus, von der sie seit bald 20 Jahren ein Teil ist. Zu viert, jeder hat zwei Räume und ein eigenes Bad, das ist das Erfolgsgeheimnis. Einer der vielen Spagate in Zoras Leben. Mutter Marie-Louise hatte 15 Jahre lang auch ein Zimmer in der WG, kam nach der Pensionierung nach Berlin, war bis vor Kurzem regelmässig da. Jetzt ist die innere Unruhe zu gross.

Was macht dich glücklich? Gehen, durch freie Landschaft. An fremden Orten Kaffee trinken. Fremd sein, das macht mich glücklich.

Fremd war ihr Berlin, genauer gesagt Westberlin, zu Mauerzeiten. Subversiv, dunkel, geheimnisvoll. Dorthin ging Zora in 120 den 1980ern als ETH-Architekturstudentin mit Anfang zwanzig ins Austauschsemester an die Hochschule der Künste, zusammen mit Freund Peter. Zwei Wochen später verliess sie ihn. Sie hatte sich Hals über Kopf in eine Frau verliebt, tauchte ein in die Lesbenszene, den Untergrund, eine Parallelwelt damals. »Westberlin war Freiheit und Weite. Und trotzdem geschützt durch die Mauer. Das Berlin von damals war mein Paradies, der tollste Ort der Welt.« Dann kam Aids, raubte einen Teil der Unschuld, und vor allem viele, viele Freunde. Das Gefühl der Fragilität, wie schnell eine Situation sich ändern kann, wie schnell absolut alles anders sein kann. Dann kam der Mauerfall, und damit Umbruch und Veränderung.

Bäckerei, das rote, schmale Lederportemonnaie in die Hand gedrückt. »Irgendwas ohne Fleisch, ich lasse mich überraschen. « Draussen vor dem Schaufenster: Zora, die beobachtet. Fussgänger, Velos, Trams. Und die in Zürich weit verbreiteten teuren Autos, die ihr zuwider sind.

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