Die Sonne scheint am Himmel auf dem Weg über den Seedamm von Rapperswil nach Pfäffikon. Fast so, als wäre soeben der Frühling zum Leben erwacht. Gerade nebenan, in Hurden, enden tagtäglich Leben. Kurze Zeit darauf wird klar, warum der Sonnenschein eben doch perfekt zum Hospiz und Schwester Jolenda passt.

Ins Hospiz St. Antonius in Hurden kommen die meisten, um zu sterben. Im unteren Teil des Gebäudes befindet sich ein Heim, in dem Menschen mit Beeinträchtigung betreut wohnen. Im oberen Stock liegen die vier Einzelzimmer des Hospizes, die im Durchschnitt nach einigen Wochen, manchmal auch nach nur wenigen Tagen neu bezogen werden. Anfragen für diese Plätze kommen oft direkt von Spitälern in der Region oder der Spitex.

Dieser besondere Ort mitten auf dem Seedamm überrascht mit Normalität: Keine Spur von seltsamen Gerüchen oder dem Gefühl von Tod. Stattdessen hängen überall bunte Bilder, die die Heimbewohner gemalt haben. Ebenfalls im Hospiz wohnen Ordensschwestern, die sich zusammen mit einigen Krankenpflegerinnen um die Sterbenden kümmern. Das Heim und Hospiz St. Antonius gehören zum Kloster Baldegg, das eigens zu diesem Zweck 1944 eine Stiftung gründete. Die Baldegger Schwestern schlafen in ihren eigenen Zimmern und essen in der heimeigenen Cafeteria mit den anderen Betreuern und Bewohnern des Heims.

Eine der Schwestern, die hier in den letzten zehn Jahren mehr als 370 Menschen in den Tod begleitet haben, ist Jolenda Elsener. Dass sie täglich vom Tod umgeben ist, merkt man ihr nicht an. Schwester Marina, eine langjährige Mitarbeiterin des Hospizes und ebenfalls Baldegger Schwester, beschreibt Schwester Jolenda als »liebenswürdige, spontane Persönlichkeit, die mit Humor und den richtigen Worten Zugang findet zu jedem Menschen, der herkommt.«

Der erste Blick täuscht

Auf den ersten Blick unterscheidet Schwester Jolenda nichts von einer Ordensschwester, wie man sie sich vorstellt. Ihr dunkelblaues Ordensgewand, der sogenannte Habit, reicht bis zu den Knöcheln. Um den Hals trägt sie ein silbernes Kreuz, und auf ihrer Nase sitzt eine Brille mit dunkler Rahmung. Ihr Gesicht wirkt wie weichgezeichnet von der Zufriedenheit, die sie ausstrahlt. Ihr Alter lässt sich nicht schätzen. Als Schwester Jolenda Fragen zu ihrem Leben beantwortet, lacht sie immer wieder. Ein tiefes Lachen, das irgendwie unerwartet klingt in Anbetracht ihrer Zierlichkeit.

Eine davon: »Waren Sie schon einmal verliebt?«

Ihre Antwort: »Es gab in meinem Leben einmal eine schwierige Zeit, als ich jemanden kennenlernte und es plötzlich in mir kribbelte. Er war verheiratet und jünger als ich mit meinen damals 33 Jahren.« Passiert sei aber nie etwas, versichert die Ordensfrau.

Jolenda Elsener ist seit 52 Jahren Baldegger Schwester. Das neunte von elf Kindern ist auf einem Bauernhof in Wollerau SZ aufgewachsen. Jolenda wurde bei allen Familienangelegenheiten stets um Rat gefragt. Das mag daran liegen, dass sie schon immer wusste, was zu sagen ist. In ihrer Schulzeit konnte sie sich nicht entscheiden, was sie gerne werden wollte. Ihre Eltern fanden, die Arbeit im Invalidenheim in Hurden, das damals noch kein Hospiz war, würde ihr guttun.

Die junge Baldegger Schwester

Nach dreieinhalb Jahren in Hurden fühlt sie sich immer noch hin- und hergerissen zwischen einer Zukunft als Krankenschwester oder als Kinderbetreuerin. Als sie nach ihrer Tätigkeit in einem Kinderheim beschliesst, die Ausbildung zur Sozialpädagogin zu machen, kommt sie ins Kloster nach Baldegg, um Schwester zu werden, bevor sie ihr Studium antritt. Als Ordensschwester trug das Kloster die Kosten für ihre Ausund Weiterbildungen.

»Heute käme es niemandem mehr in den Sinn, so jung ins Kloster zu gehen.« Mit zarten neunzehneinhalb Jahren wusste Schwester Jolenda jedoch bereits, dass sie Gott gehören möchte. Auch wenn es Jungs gab, die sich für sie interessierten, merkte sie schon früh, dass diese Lebensform nichts für sie ist. »Ich möchte meine Liebe mit allen teilen können.«

Nach ihrer Ausbildung zur Baldegger Schwester durfte sie das Studium zur Sozialpädagogin beginnen. Das war der Startschuss für einen Abschnitt ihres Lebens, auf den sie noch heute unglaublich gerne zurückblickt. Als junge Schwester betreute sie im Kinderheim Mariazell in Sursee eine Gruppe von zwölf Jungs. »Damit hat mein Leben eigentlich erst richtig angefangen«, erinnert sie sich. Diese zwölf Jungs waren ein Glücksfall für Jolenda Elsener, die schon immer froh war, sieben Brüder und drei Schwestern zu haben und nicht umgekehrt. Bis heute hat sie noch mit einigen Kontakt. »Manchmal kommen ihre Jungs im Hospiz vorbei, um sie zu besuchen«, erzählt Schwester Marina begeistert.

Nach einer weiteren Ausbildung zur Katechetin – Religionslehrerin – konnte Schwester Jolenda beginnen, Religionsunterricht für Kinder zu geben. Die Kinder mochten sie immer sehr gerne. Obwohl sie streng war, fühlten sie sich wohl bei ihr. »Wenn ich eine Anweisung gab, zog ich es auch durch.« Ihre Strenge widerspricht ihrer Herzlichkeit nicht, die Ordensschwester vereint beides harmonisch in sich selbst.

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