An den pittoresken Häusern des Berner Botschaftsviertels vorbei – Saudi-Arabien, Indien, Pakistan – geht es zu Fuss zur Einsteinstrasse, die nicht umsonst so heisst. Gleich um die Ecke steht ein sandfarbener Prachtbau, dessen massive Eingangstür ein gemeisseltes Schweizerkreuz schmückt: das ehemalige Eidgenössische Amt für Mass und Gewicht. Und noch etwas ziert den Eingang: eine Inschrift, die an Albert Einstein und an die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit erinnert, aus der der Physiker seine Relativitätstheorie herleitete. Einstein wirkte Anfang des 20. Jahrhunderts in Bern. Unter anderem auch am Patentamt, das Jahre später an die Einsteinstrasse zog. Heute befindet sich dort, erweitert durch einen angebauten Komplex, nicht halb so charmant wie der Prachtbau um die Ecke, das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI. Das Gefühl von Bildung, oder von Klassenzimmer, vermittelt dort sogar der gelbe Boden, der beim Blick in eines der Büros auffällt. Der Chlorgeruch in der Luft – vermutlich das Putzmittel – erinnert an Schwimmunterricht. Und die Geräuschkulisse an die Sommerferien: Die Homeoffice-Pflicht macht auch vor Bundesbern nicht halt. Ich betrete ein beamtengraues Sitzungszimmer. Und während ich noch sinniere, ob es nicht ungünstig ist, dass die Zukunft der Schweizer Bildungs- und Forschungslandschaft in Räumen wie diesem erdacht wird, erscheint, pünktlich zum Gongschlag und begleitet von ihrem Kommunikationschef, Martina Hirayama.

Martina Hirayama, 1970, parteilos, seit dem 1. Januar 2019 Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation, hat sich gegen 38 Mitbewerber und 9 Mitbewerberinnen durchgesetzt. Damit ist sie oberste Bildungsverantwortliche der Schweiz und automatisch eine der höchstrangigen Beamtinnen und Diplomatinnen des Landes. Ein wandelnder Superlativ. Tätig an der Schaltstelle von Bereichen, die die Zukunft der Schweiz entscheidend voranbringen sollen – und mitprägen werden. Davor war sie ab 2011 Direktorin der School of Engineering SoE an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, dort ausserdem Mitglied der Hochschulleitung und Leiterin des Ressorts Internationales. Sie absolvierte in den 1990er-Jahren ein Chemie-Studium an der ETH und gründete ein Start-up für Beschichtungstechnologien. Und Martina Hirayama ist jene Interviewpartnerin, die diesem Porträt zusagt, um Wochen später, nur einen Tag vor einem ersten Videogespräch, durch den Kommunikationschef des SBFI präzisieren zu lassen, dass sie jeglicher Form von Homestory absolut abgeneigt ist und Fragen über Persönliches »in kürzester Knappheit« beantworten wird. Nun dann.

»Es geht alles viel zu langsam«

Es wurde wohl selten so viel über die Relevanz eines funktionierenden Bildungssystems diskutiert wie seit Beginn der Pandemie. Sie – genauer: der Distanzunterricht zu Beginn – führte den Menschen im Frühjahr 2020 nicht nur die Ernsthaftigkeit der Lage vor Augen, sondern auch die Schwachstellen des Systems. Kinder aus sozial benachteiligten Familien hatten schwierige Voraussetzungen. »Später hatte es für die Schweiz im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern hohe Priorität, die Schulen offen zu halten«, erklärt Hirayama. Da die obligatorische Schule in der Kompetenz der Kantone liegt – »der Bund mischt sich nicht ein« –, ist das Thema bei unserem Gespräch rasch vom Tisch. Es gibt genug andere, die sich wegen Corona auf demjenigen von Martina Hirayama stapeln. So soll eine Taskforce kränkelnde Unternehmen motivieren, trotz der prekären Lage Lehrstellen anzubieten, und Lösungen finden für Lernende in der Gastronomie, die keine praktischen Erfahrungen sammeln können. Es steht ein Projektbudget zur Verfügung, Anträge werden »so schnell wie möglich« geprüft.

»So schnell wie möglich«, das gefällt Martina Hirayama. Wer sich an ihrem ehemaligen Arbeitsplatz, der ZHAW, nach ihr erkundigt, hört eines immer wieder: Martina Hirayama ist eine Schnelldenkerin, sie will rasch Resultate sehen, in kurzer Zeit viel ändern. Sie bestätigt es selbst: »Ich habe immer das Gefühl, es gehe alles viel zu langsam. Gott sei Dank war ich an der Hochschule.« Sie lacht wie so oft während des Gesprächs. »Aus dieser Zeit weiss ich: Will man etwas bewegen, muss man die Leute überzeugen, mitnehmen, sonst bewirkt man gar nichts. Geduld lohnt sich. Das ist in Bern nicht anders.« »Überzeugen« betont sie dabei mit viel Verve und Ausdruck, man ist augenblicklich überzeugt.

Sie sei eine gute Chefin, eine, die ihren Mitarbeitenden Vertrauen schenke, mit einem Gespür für Menschen, heisst es an der Hochschule. Wegen des Tempos, mit dem sie Reformen vorangetrieben habe, hätten sich einige ihrer 680 Mitarbeitenden an der ZHAW jedoch überfahren gefühlt. Sie sei nicht überall beliebt gewesen. Das lasse sie natürlich nicht kalt, so Hirayama. Beirren lässt sie sich jedoch nicht: »Wenn man eine Führungsrolle übernimmt, muss man Dinge tun, die nicht alle goutieren. Akzeptieren, dass manche einen doof finden. Es ist nicht meine Aufgabe, es allen recht zu machen, sondern meine Organisationseinheit voranzubringen.« Und das hat sie an der ZHAW geschafft: Effizienter sei die SoE nun und agiler, berichten ehemalige Mitarbeitende. Martina Hirayama habe viel Gutes initiiert; den Bildungs- und Forschungsstandort Winterthur hat die Staatssekretärin hinter sich gelassen. Nun gilt es, für den Standort Schweiz noch Grösseres zu vollbringen.

Dass Martina Hirayama in die Bundesstadt wechselte, schien ein logischer Schritt. Sie knüpfte Kontakte nach Bern, ging an der Einsteinstrasse ein und aus, lange bevor sie Staatssekretärin wurde. Von 2011 bis 2018 amtete sie als Vizepräsidentin des Verwaltungsrates der Innosuisse. Innovationsförderung liegt ihr am Herzen, »eine bereichernde Tätigkeit« sei das. Die Förderagentur ist im selben Gebäude untergebracht wie das SBFI. »Ich habe dadurch gesehen, dass man in Bern durchaus etwas bewegen kann, indem man an den richtigen Stellen auf die Rahmenbedingungen Einfluss nimmt.« Martina Hirayama ist am richtigen Ort gelandet.

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