Nein, umständlich ist Heinrich Marti, den alle nur Heiri nennen, nicht. Auf die Frage, ob er für dieses Porträt zur Verfügung stehen möchte, antwortet er unkompliziert: »Gerne nehme ich teil.« Der Eindruck ändert sich auch nicht, als Heiri Marti am Tag des Treffens die Tür in seinem Haus in Matt im Glarnerland öffnet. Beim Betreten des Hauses stechen einem gleich die vielen Kuhglocken an der Wand in die Augen, und ein leichter, aber dennoch auffälliger Duft von Käse hängt in der Luft beim Eingangsbereich. In seiner rustikal eingerichteten Küche setzt sich der 74-Jährige an einen Holztisch. Neben ihm befindet sich ein kleiner Schokoladenhase, sein ältester Sohn Tobias macht gerade Pause im Homeoffice und die »Bauernzeitung« stapelt sich über der »Südostschweiz« und dem »Blick«. Der ganze Raum wird von einem Kaminofen angenehm warm gehalten, und durch die Fenster strahlt die Sonne in den Raum. Vor dem Gespräch bietet Marti einen Kaffee und ein Glas Wasser an und fängt danach an zu erzählen.

Er tut dies in einer äusserst lockeren Art. Marti spricht überlegt, zugleich offen und äusserst detailverliebt: »Wir dürfen weiterhin unser Wellness-Angebot auf der Alp durchführen und haben auch schon sehr viele Reservationen für den Sommer. Deswegen sind wir nicht so hart von der Coronakrise betroffen wie andere Branchen.«

Eine Oase mitten auf dem Berg

»Das Wellness« auf der Alp, es ist wohl einer der grössten Erfolge in Heiri Martis Leben. Die Berglialp ist seit 1903 im Besitz der Familie, ab 1978 hat Heiri Marti sie von seinem Vater gekauft, nachdem er zuvor acht Jahre lang der Pächter gewesen war. Zusammen mit seiner Frau Ursi betreibt er auf der Berglialp ein Wellness-Angebot, bei dem seine Gäste in einem beheizten Hot-Pot und in Holzzubern verschiedenste Molkenund Kräuterbäder geniessen können. Die Holzzuber können von zwei, der Hot-Pot von bis zu zehn Personen benutzt werden. Beide Bäder liegen direkt vor den Alphütten in der freien Natur – ein idyllisches Bild.

Gerade die Molke hat einen äusserst positiven Einfluss auf die Haut, wurde sie doch früher in Kurbädern zur Bekämpfung von Schuppenflechten, Neurodermitis und sonstigen Hautunreinheiten verwendet. Neben Wellness-Ferien können auch Polterabende und Esel-Trekkings auf der Berglialp gebucht werden. Um zu den diversen Hütten und Chalets zu gelangen, müssen die Gäste allerdings zuerst eine rund 90-minütige Wanderung auf sich nehmen, das Gepäck kann jedoch mit einer Materialseilbahn auf die Alp transportiert werden. Nicht umsonst lautet das Motto der Berglialp: »Nur wo du zu Fuss warst, warst du richtig.«

Seiner 26 Jahren jüngeren Ehefrau, die im Übrigen auch für das Motto zuständig war, windet Marti ein ganz spezielles Kränzchen: »Ohne Ursi ginge es nicht mehr. Sie hat grosse Freude an diesem Tourismus und gibt jeden Tag Vollgas. Ich schätze sie sehr und bin ihr äusserst dankbar dafür.« Seine Frau ist auch für die Büroarbeit der Berglialp verantwortlich und betreut deren Social-Media-Kanäle, um noch mehr potenzielle Gäste anzusprechen.

Inzwischen sind die Martis jedoch so erfolgreich, dass sie nicht mehr auf Werbung in Flyern oder Touristen-Büchlein angewiesen sind und die Gäste ihre Berglialp per Mundpropaganda weiterempfehlen. Auch während des Gesprächs treffen bei Marti immer wieder E-Mails und Nachrichten auf dem Handy ein, in denen nach freien Plätzen für das bevorstehende Osterwochenende gefragt wird.

Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Dabei wurde Marti zu Beginn belächelt, als er vor 27 Jahren die ersten Molkenbäder angeboten hatte. Er tippt dabei mit seinem Zeigefinger auf die Stirn, um das recht grosse Unverständnis, das ihm damals in der Region entgegenschlug, noch deutlicher zu symbolisieren: »Und schon bald darauf hatte ich Erfolg. Plötzlich sahen die Menschen, dass am Sonntagabend viele Leute von der Berglialp ins Dorf hinunterkamen, nachdem sie bei uns eine grossartige Zeit verbrachten. Dann merkten die Kritikerinnen und Kritiker selbst, dass dies kein schlechtes Projekt ist. Ich bin mir jedoch Gegenwind gewohnt, da ich schon immer ein Pionier war.«

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