Die Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin stellen in ihrem Atelier für Sonderaufgaben den Alltag auf den Kopf und machen die Gesellschaft zur Komplizin ihrer radikalen und kompromisslosen Kunst. Eine Geschichte von Zwillingsbrüdern, die einbrechen wollen, um ausbrechen zu können.

Atelier für Sonderaufgaben, so heisst das künstlerische Unternehmen von Frank und Patrik Riklin, den eineiigen Zwillingsbrüdern aus St. Gallen. Am Rande der Altstadt, unweit des Hauptbahnhofs, ist im Obergeschoss des alten städtischen Lagerhauses ihre Ideenschmiede zu finden. Das grossräumige Atelier erstreckt sich über zwei lichtdurchflutete Räume, flankiert von hohen Fenstern auf der einen und gefüllten Bücherregalen auf der anderen Seite. Vollgestellt mit Zeugs aller Art, von Van-Gogh-Büchern über zusammengerollte Pläne und Skizzen bis zu alten Schreibmaschinen und sonstigen aufeinandergestapelten Technikgeräten. In der Mitte des ersten Raumes stehtein langer Tisch, der Platz für rund zwei Dutzend Personen bietet. Die orangefarbenen Kinosessel, die daneben im Kreis aufgestellt sind und zum Verweilen einladen, verleihen dem Ort der Kreativität eine besondere Note. In der Ecke steht ein riesiges Pult, worauf sich allerlei Bücher, handgeschriebene Notizen und ausgedruckte Pläne stapeln. Patrik sitzt rechts am Pult, Frank links. Vis-à-vis, damit sie dem Gegenüber in die Augen sehen können, wenn sie miteinander sprechen. Im Atelier für Sonderaufgaben riecht es nach einer Mischung aus Kaffee, Holz, alten Büchern, und der Geruch der Stadt zieht durch die grossen Fenster herein. Das ist sie, die Ideenschmiede der Brüder, wo sie sich gemeinsam ihren Sonderaufgaben widmen.

Jahrgang 1973, wuchsen Frank und Patrik mit vier Geschwistern in St. Gallen auf. Beide absolvierten eine Ausbildung als Hochbauzeichner und studierten Kunst an unterschiedlichen Instituten: Frank in Zürich, Patrik in Frankfurt a. M. und Berlin. »Für uns war es wichtig, verschiedene Wege beschreiten zu können, was wir auch bis zum 25. Lebensjahr gemacht haben «, so Frank. Dadurch konnten die beiden ein individuelles Profil entwickeln, denn als Zwilling werde man oft nur als Teil eines Duos wahrgenommen. 1999 gründeten sie dann ihr Atelier für Sonderaufgaben. Für die Riklins war während ihrer Ausbildung klar geworden, dass sie das gleiche Potenzial in der Kunst sehen: Sonderaufgaben wahrzunehmen, für die sich niemand so richtig zuständig fühlt. Die Zwillinge hatten bereits neun Monate zusammen verbracht, bevor sie das Licht der Welt erblickten. »Deshalb haben wir uns entschieden, die Zusammenarbeit fortzuführen«, scherzt Patrik. Die Brüder gehen auf die fünfzig zu und strahlen noch immer jugendliche Frische und Frechheit aus. Sie beide tragen Dreitagebart, ihre langen Haare sind lose über dem Kopf zu einem Knoten zusammengebunden. Oft sprechen sie wild gestikulierend durcheinander, unterbrechen sich gegenseitig, beenden im nächsten Moment den Satz des anderen, verwerfen dann die Hände. Sie scheinen sich perfekt zu ergänzen. Eine natürliche Symbiose.

Obwohl sie auf den ersten Blick gleich scheinen, teilen sie nicht immer die gleiche Meinung. Es wird laut, wenn die Riklins diskutieren. Eine gesunde Streitkultur sei wichtig für sie, denn so können sie ihr Handeln ständig reflektieren und sich weiterentwickeln. Wie ein Ping-Pong-Spiel, worin sie sich mit gegenseitigen Returns zum künstlerischen Konsens hochschaukeln. »Lass mich jetzt mal ausreden!« In starkem St. Galler-Dialekt meint Frank, der zehn Minuten vor seinem Bruder Patrik geboren ist: »Uns einzuordnen ist sehr schwierig. Obwohl wir nie etwas von uns verstecken und zu 100 % uns selbst sind, werden wir oft missverstanden.«

Obwohl in den Medien einiges über die Brüder berichtet wird, ist ihre Kunst schwer zu fassen. »Über uns wurde schon vieles geschrieben. Wir seien zwei bunte Hunde, schräge Vögel, radikale Künstler. « – »Der schnelle Blick lässt unsere Kunst falsch interpretieren. Viele kennen uns und unsere Arbeit nur oberflächlich. Sie kratzen nur an der Eisspitze«, finden sie. Sobald man sie jedoch besser kennenlernt, merkt man, welche konkreten Konzepte und Ideen sich dahinter verbergen.

Die Gebrüder Riklin sind Konzeptkünstler. In ihrem kleinkünstlerischen Unternehmen produzieren sie unabhängige Kunst und nehmen Sonderaufgaben wahr, für die sich in der Gesellschaft niemand so richtig zuständig fühlt. Sie sind ihre eigenen Kuratoren und platzieren ihre Kunst dort, wo man sie nicht erwartet – bewusst ausserhalb der gängigen Kunstinstitutionen. Die Kreativköpfe greifen alltägliche Themen aus Gesellschaft und Wirtschaft auf und reissen sie aus dem konventionellen Rahmen. Sie entnehmen bestehende Realitäten, konzipieren und inszenieren diese neu, um sie anschliessend wieder in die Gesellschaft einfliessen zu lassen. Die Riklins arbeiten mit »Komplizen« zusammen, nicht etwa mit Partnern, Kunden oder Auftraggebern. Für sie ist ihre Arbeit mehr als nur ihr Beruf, sondern es geht ihnen darum, in der Gesellschaft neue Prozesse und Verhaltensweisen auszulösen. Ihr Credo lautet: »Für uns ist die beste Kunst diejenige, die man gar nicht als Kunst wahrnimmt und zu einem Teil der Gesellschaft wird.«

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